T4 - Ausstellung

Eine Aufarbeitung mit dem Herzen – Die Idee einer Ausstellung

von Michael Gollnow

Die Idee zur Ausstellung „Töten aus Überzeugung“ geht auf das Jahr 2011 zurück. Als Mitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft für seelische Gesundheit nahm ich gemeinsam mit meiner Kollegin Lucyna Brendle an einem Symposium der Deutsch-Polnischen Gesellschaft für seelische Gesundheit (DPGfSG) in Oswiecim (Ausschwitz) teil.

DPGfSG

Durch meine, von mir sehr geschätzte Kollegin, die Polin ist, war ich schon 2009 bei einem Symposium der DPGfSG in Lublin. Durch Lucyna Brendle hatte ich einen Einblick in die polnische Gesellschaft, der mir sonst verwehrt geblieben wäre. Ich war und bin bis heute überwältigt von der Freundlichkeit und der Herzlichkeit, die mir in Polen begegnet. Gleichzeitig fiel mir auf, dass man im gesamten Land in einem erheblichen Ausmaß auf Spuren der Verbrechen der Nationalsozialisten stößt.

In diesen Sachverhalt passte auch das in Oswiecim stattfindende Symposium. Allein schon das ehemalige deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsortes, stellte ein unübersehbares Mahnmal der Verbrechen dar.

Beim Symposium der DPGfSG in Oswiecem hielt ich einen Vortrag zum Thema „Vertrauen in der Psychiatrie an der Schwelle zu Auschwitz“. Während der Vortragsvorbereitungen stieß ich unweigerlich auf das Thema der „Euthanasie“ im Nationalsozialismus. Beim Quellenstudium entdeckte ich in Ernst Klees Buch „Euthanasie“ im NS-Staat“ den Abschiedsbrief eines Kindes aus der Anstalt Liebenau. Das Kind Helene hatte sich in einem Brief von seinem Vater verabschiedet, nachdem dessen Abtransport in eine Tötungsanstalt durch die grauen Busse kurz bevorstand. Dieser Abschiedsbrief hat mich zutiefst berührt und brannte sich in meinem Gedächtnis ein.

Noch während des Symposiums besichtigten meine Kollegin und ich das Stammlager Auschwitz I und legten an der ehemaligen Erschießungsmauer einen Kranz von Pinel nieder. Bei der Besichtigung sahen wir auch den ehemaligen „Kinder-Block“. Dort fiel mir eine Kinderfotografie von Wilhelm Brasse (Fotograf von Auschwitz) auf. Es handelte sich um die Fotografie von Czesława Kwoka, einem vierzehnjährigen polnischen Mädchen, das in Auschwitz ermordet wurde. Auf dem Foto konnte man deutlich die Spuren seines Martyriums erkennen. Es war deutlich ersichtlich, dass dieses Kind noch kurz vor der Aufnahme geweint hatte. Auch dieses Bild brannte sich in mein Gedächtnis ein.

Im Anschluss an die Besichtigung des Stammlager I fuhren wir noch nach Auschwitz-Birkenau. Der alleinige Anblick von Auschwitz Birkenau erschütterte mich zutiefst. Bisher kannte ich das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nur von Fotografien und aus dem Fernsehen. Diese Stätte des Grauens in der Realität zu sehen, war etwas anderes.

Auf dem Rückweg von Krakau nach Berlin, merkte ich, dass die in Auschwitz gewonnenen Eindrücke in mir arbeiteten. Ich stellte Überlegungen an, wie ich von diesem Stück Deutschland in Polen (Auschwitz) wieder ein kleines Stück mit nach Hause nehme. Ich wollte an das Kind auf dem Foto und die Opfer der NS-„Euthanasie“ ein Gedenken schaffen, welches von Emotionen bestimmt wird.

So begann ich 2011 mit dem Bau des ersten Schaukastens, der die Szene einer Abholung von Kindern in eine Tötungsanstalt durch die grauen Busse darstellt. Es folgten weitere Schaukästen, welche die Tatorte der unfassbaren Verbrechen der Nationalsozialisten an Menschen mit Behinderung thematisieren. Meine Intention war, historische Ereignisse fasslicher zu machen. Die „jüngste Vergangenheit“ soll als eine „erfühlbare“ Geschichte präsentiert werden. Eine Ausstellung in dieser Form stellt eine Anknüpfung an den grundlegenden Gedanken von Theodor Adorno her, „nämlich, Auschwitz in sein Inneres vorzulassen und somit die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht zu verdrängen“. Das Innere des Menschen mit seinen Gefühlen und Empfindungen ist ein besonderes Zentrum der Verarbeitung und der Bewusstseinsbildung. Genau hier setzt die Ausstellung an. In der Schaffung von Szenen und Tatortabbildungen, durch historisch genaue Exponate, welche aus selbst hergestellten Formen gegossen sind, entsteht eine Betrachtungsform, die auf die Emotionalität des Betrachters abzielt.

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Historiker Robert Parzer der Initiative „Gedenkort t-4“ ist jedem der mittlerweile 11 Schaukästen ein Rollup zugeordnet, wo der historische Kontext erklärt wird. Die Pinel gGmbH, einem Träger der psychosozialen Versorgung in Berlin ermöglicht und unterstützt diese Ausstellung im vollen Umfang.

Pinel, benannt nach dem französischen Arzt Philippe Pinel, der zur Zeit der Französischen Revolution die sogenannten „Geisteskranken“ von ihren Ketten befreite, leistet auch ein gesellschaftliches Engagement hinsichtlich der Aufarbeitung des tausendfachen Mordes an Menschen mit einer Behinderung durch den Nationalsozialismus.

Die Präsentation der Ausstellung fand bisher an folgenden Orten statt:

–           September 2012 Evangelisches Krankenhaus Elisabeth Herzberge, Berlin

–           Oktober 2013 Rathaus Tempelhof/Berlin

–           26.2.14 bis 23.3.14 Arsenal Miejski in Wroclaw/Breslau (Polen)

–           8. 5. 14 bis 6.6. 14 Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin

–           20. 7.14 bis 31.8.14 Zwölf-Apostel-Kirche, Schöneberg, Berlin

–           20.1.15 bis 26.3.15 Jüdisches Gemeindehaus, Berlin

–           23.7.bis 31.8.15 Staatbibliothek Opole (Polen).

–           1.9.15 bis 29.10.15 Universität Gdansk (Polen)

–           1.12.15 bis 14.1.16 Evangelische Hochschule Ludwigsburg

–           4.4.17 bis 30.6.17 Bibliothek Krakau (Polen)

–           1.9.17 bis 4.9.2017 Haus der Geschichte, Warschau

Seit ihrer Entstehung im Jahr 2011, ist die Ausstellung „Töten aus Überzeugung- die nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in Deutschland und Europa“ durch die Hinzufügung von neuen Schaukästen weiter expandiert. In ihrer Form und Konzeption, der szenischen Darstellung von Tatorten der nationalsozialistischen Verbrechen an Menschen mit Behinderung ist diese Ausstellung einzigartig in Deutschland.