Ausstellung T4 „Töten aus Überzeugung“ in Pamplona

„Töten aus Überzeugung – Asesinando por Convicción“ lautet der Titel der Pinel-Ausstellung über den organisierten Mord an Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen durch das nationalsozialistische Regime. Am 26. November 2019, dem „internationalen Tag der Menschen mit Behinderung“, wurde die Ausstellung in der nordspanischen Stadt Pamplona eröffnet. Schirmherrin war die Ministerin für Bürgerbeziehungen der Region Navarra Ana Ollo, deren Behörde die Ausstellung mitorganisiert hatte.

Zusammen mit Organisationen, die wie Pinel mit Menschen mit Behinderung arbeiten, war die Ausstellung komplett barrierefrei konzipiert worden: Die Ausstellungsgegenstände wurden so präsentiert, dass sie auch aus dem Rollstuhl erlebbar waren. Zu jedem Text-RollUp gab es Videos mit Zeichensprache und Vorlese-Ton für Menschen mit visuellen Einschränkungen oder gehörlose Menschen mit Leseschwierigkeiten. Menschen mit kognitiven Einschränkungen konnten sich mithilfe eines gedruckten Ausstellungs-Guides in einfacher Sprache die Ausstellung aneignen.

Nach Informationen der Veranstalter vor Ort war die Ausstellung ein Erfolg: In der Zeit vom 26.11. bis zum 20.12.2019 wurde die Ausstellung von mehreren Hundert Menschen besucht. Daneben haben sich hunderte Schülerinnen und Schüler aus weiterführenden Schulen der Region vor Ort mit dem Thema beschäftigt. Im Zusammenhang mit der Ausstellung wurde am 12.12.2019 eine wissenschaftliche Tagung zum Thema „Aktion T4“ organisiert. Hauptredner war der Jurist Dr. Alfons Aragoneses aus der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, der als Experte über die Aktion T4 in Spanien gilt. Mehr Informationen über die Ausstellung und der Tagung sind hier zu finden:

Presse

https://www.navarra.es/es/noticias/2019/11/27/inaugurada-en-baluarte-una-exposicion-sobre-el-programa-de-eutanasia-nazi-aktion-t4-dirigido-a-exterminar-personas-con-discapacidad

https://www.diariodenavarra.es/noticias/cultura-ocio/cultura/2019/11/27/personas-con-discapacidad-enfermos-otro-objetivo-los-nazis-selecciondn-672349-1034.html

https://www.noticiasdenavarra.com/cultura/2019/11/27/inaugurada-baluarte-exposicion-programa-eutanasia/1005298.html

https://www.20minutos.es/noticia/4069152/0/inaugurada-en-baluarte-una-exposicion-sobre-el-programa-de-eutanasia-nazi-dirigido-a-exterminar-discapacitados/

https://www.eldiario.es/navarra/ultima_hora/Inaugurada-Baluarte-exposicion-exterminar-discapacitados_0_968003349.html

https://www.eitb.eus/es/television/programas/navarra-directo/videos/detalle/6889472/video-exposicion-asesinando-conviccion-programa-eutanasia-nazi/

Foto: GobNavarra

 

Foto: GobNavarra

 

Foto: Pinel-Verbund

Foto: Pinel-Verbund

Die Rede von Silvan Vera-Chafer zur Eröffnung der Ausstellung am 26.11.2019

Sehr geehrte Frau Ministerin,

sehr geehrter Herr Abteilungsleiter,

sehr geehrter Herr Director del Instituto Navarro de la Memoria,

sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Silvan Vera-Chafer von der Pinel gemeinnützige Gesellschaft mbH in Berlin.

Die Pinel gGmbH ist ein berlinweiter Träger in der Versorgung und Betreuung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Die Pinel gGmbH ist nach dem französischen Arzt Philippe Pinel benannt, der zur Zeit der Französischen Revolution die sogenannten „Geisteskranken“ aus den Kerkern herausholte, sie von ihren Ketten befreite und sich für eine humane und moralische Behandlung von psychiatrischen Patienten einsetzte.

Ich möchte mich zuerst im Namen der Pinel gGmbH und besonders im Namen meines Kollegen Michael Gollnow, Kurator dieser Ausstellung, bei der Behörde für Frieden, Zusammenleben und Menschenrechte der Region Navarra bedanken, dass ich heute bei Ihnen zu Gast sein darf. Aus gesundheitlichen Gründen kann Michael Gollnow leider nicht vor Ort sein.

Die Ausstellung beschäftigt sich mit der sogenannten Aktion T4, dem Massenmord an Patienten mit einer Behinderung im damaligen Deutschen Reich und Europa ab April 1940.

Hinter dem Namen „T4“ steht die Planungszentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4, die den tausendfachen Mord an Menschen aus den Heil- und Pflegeanstalten initiierte, koordinierte und durchführte.

Über 70.000 Menschen wurden in den Gaskammern der sechs dafür eigens eingerichteten Tötungsanstalten ums Leben gebracht, bis die „Aktion T4“ am 24. August 1941 aufgrund kirchlicher Proteste und Unruhe in der Bevölkerung auf mündliche Verfügung hin von Adolf Hitler abgebrochen wurde.

Die Ermordung der Anstaltspatienten beschränkte sich jedoch nicht auf das Deutsche Reich, sondern umfasste seit Beginn des 2. Weltkriegs im September 1939 auch die besetzten Gebiete, insbesondere in Polen und der Sowjetunion. Denn nach dem scheinbaren Stopp der „Aktion T4“ im Sommer 1941 wurden die Krankenmorde dezentral, auch in den besetzten Gebieten im Osten, durch Nahrungsentzug, Erschießung, Medikamentengabe und Tötung durch Gas fortgesetzt.

Die Erfassung, Selektion und Tötung der Anstaltspatienten war die erste zentral organisierte und systematische Massenvernichtung von Menschen. Dies wäre ohne die Einbeziehung von Ärzten und Pflegepersonal in den Heil- und Pflegeanstalten nicht möglich gewesen. Obwohl heutzutage immer mehr Anstalten ihre Vergangenheit historisch aufarbeiten und die „Aktion T4“ Thema vieler Forschungsvorhaben ist, ist dieser Kapitel der Geschichte weiterhin für die Mehrheit der Bevölkerung unbekannt.

Mein Kollege Michael Gollnow, der Kurator der Ausstellung, beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit der „Aktion T4“. Bei den Besuchen an Orten des Geschehens in Deutschland und besonders in Polen erarbeitete er sich ein profundes Wissen über die, wie er schreibt „neue Technologie des Tötens von Menschen“: „Das geeignete Versuchsgelände dafür war das eroberte Polen, wo die Aggressoren ihre Terrormethoden verbessern konnten, ohne gestört zu werden, und neue Konzepte entwickelten, Menschen industriemäßig zu töten“.

Die „Aktion T 4“ war nicht, so wie er schreibt, „der Auftakt für die Säuberung der psychiatrischen Krankenhäuser im ‚Reich’ von den sogenannten ‚Ballastexistenzen’, sondern in technischer Hinsicht auch Vorbild für die spätere ‚Endlösung der Judenfrage’.“

Seine Aufenthalte in Auschwitz-Birkenau, wo man im gesamten Land in einem nicht vorstellbaren Ausmaß auf Spuren der Verbrechen der Nationalsozialisten stößt, waren für Michael Gollnow der Anstoß für eine künstlerische Auseinandersetzung mit seinen dort gewonnen Erfahrungen: „Die Eindrücke dieses Ortes von geballten Verbrechen waren für mich in der Verarbeitung von tiefen Gefühlen geprägt. […] Diese Gefühle drückten alles Entsetzen aus, wozu Menschen in bestimmten Konstellationen fähig sind, und welche schrecklichen Folgen daraus für die Betroffenen erwachsen. Vor diesem Hintergrund beschloss ich die Erschaffung einer Ausstellung, die jene Tatorte abbildet.“

Im Mittelpunkt stehen Exponate, welche aus selbst hergestellten Formen gegossen sind. Die Betrachter der Ausstellung können somit teilhaben an einer realistischen und historisch genauen Darstellung. Neben der Vermittlung von historischen Kontexten, strebt die Ausstellung vor allem auch um eine Aufarbeitung mit dem Herzen an.

Es ist für mich eine große Ehre, dass ich heute an diesem Tag zu Ihnen sprechen kann. Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute gekommen sind, und lade Sie nach meinem Vortrag herzlich zu einer Begehung ein.

Muchas gracias, eskerrik asko.