Die Aktion T4

Die Aktion T4

Unter dem Decknahmen „T4“ verbirgt sich der Massenmord an Patienten aus den Heil- und Pflegeanstalten im damaligen Deutschen Reich.                 

Die Vorläufer der Nazi-„Euthanasie“

Die nationalsozialistische Bevölkerungs- und Rassenpolitik hatte einen historischen Vorlauf. Nach dem für Deutschland verlorenen 1. Weltkrieg und die daraus resultierenden hohen Verluste an Menschenleben, erhielten die Thesen und Schriften der so genannten Eugeniker und Rassenhygieniker eine enorme Popularität.

1920 stellen Alfred E. Horche (Prof. für Psychiatrie) und Karl Bindig (Prof. für Recht) ihre These auf, wonach der Gesellschaft, durch die Pflege von Menschen mit einer Behinderung, ein erhebliches Kapital (Nahrungsmittel, Personalkosten etc.) entzogen würde. Sie betitelten diese Menschen als „Ballastexistenzen“. Sie kreierten Begriffe und Thesen, die von den Nationalsozialisten uneingeschränkt in ihr Konzept übernommen wurden. Diese verabschiedeten gleich nach der Machtergreifung das Zwangssterilisationsgesetz.

(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht werden, wenn zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden

(2) Erbkrank im Sinne des Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:

  1. angeborener Schwachsinn
  2. Schizophrenie
  3. zirkulärer (manisch-depressiver) Irrsinn
  4. erbliche Fallsucht
  5. erblicher Veitstanz (Huntingtonsche Chorea)
  6. erbliche Blindheit
  7. erbliche Taubheit
  8. schwere erbliche Missbildung und schwerer Alkoholismus

Es wird angenommen, dass in Deutschland nach dem Erlass der Gesetze rund 400.000 Menschen der Zwangssterilisation zum Opfer gefallen sind.

Die Organisation der systematischen Tötung

Die Kanzlei des Führers wird im Februar 1939 damit betraut, die Planung der systematischen Tötung Kranker und Behinderter durchzuführen. Das Hauptamt II der Kanzlei, welche dem SS-Obergruppenführer Philipp Bouhler unterstellt ist, wird mit der Zuständigkeit der Krankentötungen beauftragt.

Bouhler und Hitlers Begleitarzt Karl Brandt werden im Sommer 1939 mit der Durchführung der so genannten Aktion T4 beauftragt. Die „Geheime Reichssache T4“, wird nach dem Sitz der Dienststelle in der Tiergartenstraße 4 in Berlin Charlottenburg benannt.

Hier bezieht die Euthanasiezentrale eine aus jüdischem Besitz zwangsarisierte Villa. Die beteiligten Tarnorganisationen der „geheimen Reichssache T4“ erhielten unverfängliche Bezeichnungen. Die einzelnen Abteilungen schreiben, verhandeln und befehlen unter verschiedenen Briefköpfen:

  • Die Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten (RAG) ist zuständig für die Verwaltung der Patienten und Mordopfer. Hier gingen die Meldebögen aus ganz Deutschland ein.
  • Die „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ wickelte die Besoldung der Beteiligten (Ärzte, Schwestern, Pfleger, Chemiker, Kraftfahrer, Büroangestellte usw.), die Beschaffung von Gebäuden und die Bezahlung der als „Desinfektionsmittel“ deklarierten Giftstoffe ab.
  • Die „Gemeinnützige Kranken-Transport-GmbH (Gekrat)“ besorgte mit ihren „grauen Bussen“ die Abholung.
  • Ein „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ verantwortete die Tötung behinderter Kinder.
  • Später wird noch eine „Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten“ gegründet, die alle Sterbefälle abrechnete.

Im Januar 1940 finden im ehemaligen Zuchthaus Brandenburg die ersten Probevergasungen statt. Hierzu werden die Ärzte der neu errichteten Vergasungsanstalten bestellt. Parallel dazu wird vor der Vergasung bei den Opfern die Wirkungsweise verschiedener Gifte ausprobiert. Man wollte die schnellste und effektivste Tötungsmethode herausfinden.

Die „Geheime Reichssache T4“ und später die „Aktion Brandt“ wurden vorerst in fünf bzw. sechs Tötungsanstalten in Deutschland durchgeführt. Je nach der zeitlichen Reihenfolge ihrer Inbetriebnahme wurden diese mit einem Buchstaben des Alphabets benannt:

  • „A“ stand für Grafeneck in Württemberg.
  • „B“ ab Februar 1940 für Brandenburg-Havel bzw. ab Herbst 1940 für Bernburg.
  • „C“ für Hartheim bei Linz in Österreich.
  • „D“ für Sonnenstein in Sachsen.
  • „E“ für Hadamar in Hessen.

Der Weg zur Tötungsanstalt verlief über „Zwischenstationen“

Die gezielten Mordaktionen sollten gegenüber den Angehörigen der Patienten möglichst geheim gehalten werden. In der Folge wurden die Kranken daher nicht auf direktem Wege von ihren Herkunftsorten in die Tötungsanstalten transportiert, sondern über Zwischenstationen. Die Durchgangsstationen hatten neben einer Tarnfunktion auch die Aufgabe, einen reibungslosen Ablauf der industriemäßig organisierten Euthanasiemorde zu gewährleisten.

Die Euthanasieopfer wurden nach einem simplen Verfahren ausgewählt: Sämtliche Anstalten in Deutschland mussten Patienten nach Berlin melden, darunter auch die sogenannten Geisteskranken und Personen, die sich seit mindestens fünf Jahren in Anstalten befanden. Dieses bedeutete ein Todesurteil für alle Heimbewohner.

Der Abtransport der Opfer in die Tötungsanstalten erfolgte durch die „GEKRAT“ (Gemeinnützige Krankentransport GmbH). Der Transport wurde in Bussen der Reichspost vorgenommen, die einen dunkelgrauen Tarnanstrich hatten und deren Seitenfenster weiß gestrichen waren, so dass man weder heraus noch hereinsehen konnte. Das Begleitpersonal der Busse gehörte in der Regel der SS an. Um Panik zu vermeiden trugen diese keine Uniformen, sondern weiße Kittel.

In der Pinel T4-Austellung stellt die Abholung der Opfer durch die grauen Busse der GEKRAT einen Höhepunkt der perfiden Vorgehensweise der nationalsozialistischen Mörder dar.

Die GEKRAT, die eigens dafür geschaffen wurde, die Opfer in die Tötungsanstalten zu transportieren ging mit deutscher Gründlichkeit und Ordnungsliebe vor. Die wahren Ziele dieser Aktionen blieben den Opfern nicht verborgen. Beim Auftauchen der grauen Busse wusste man, was es gerüchteweise damit auf sich hatte. Viele der Menschen in den Anstalten bekamen Angst, abgeholt“ zu werden.

Viele der Opfer schrieben herzzerreißende Abschiedsbriefe an ihre Angehörigen, in denen sie sich verabschiedeten. In dem Buch von Ernst Klee „Euthanasie im Nationalsozialismus“ finden sich hierzu einige Auszüge:

  • aus dem Katharinenhof:

Ordensschwester Schwester Frida bekam in wenigen Wochen weiße Haare. Schon als das Minchen mit vielen anderen sterilisiert worden war, hatte Schwester Frida bittere Tränen geweint. Was dann geschah, das konnte Schwester Frida nicht mehr mit ansehen. Wieder kam der große Omnibus mit den undurchsichtigen Fenstern. Diesmal musste das Minchen auch dran kommen.

Frida hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, schwere Bilder suchten sie heim. Wie bei jeder echten Ordensschwester lagen in ihrem Sinn die großen Gedanken und die kleinen praktischen Taten nahe beisammen. So verbrachte sie nach dieser Nacht voll apokalyptischer Schrecken die frühen Morgenstunden damit, Kuchen zu backen. Zum erstaunten Minchen sagte sie zärtlich: „Den Kuchen backe ich extra für dich, weil du ihn mit ein paar anderen verspeisen sollst.“

Als der Bus vorrollte, lächelte Schwester Frida, um nicht weinen zu müssen. Sie packte das Minchen und die anderen warm ein, legte jedem einen Kuchen auf einem bunten Teller in den Schoß, gab dem Minchen einen Kuß und suchte nach einem Abschiedswort. Aber das Minchen sagte tapfer: „Oh, Schwester Frida, ich weiß wohl, mich fahren sie jetzt in den Himmel.“ Die stumm gewordene Schwester dachte bei sich: „Und ich weiß wohl, wer einmal in die Hölle fahren wird.“

Dann durchzuckte es sie – Wo war denn Minchens Freund, das Jaköble, Fridas zweitliebster Schützling? Er war nirgendwo zu finden. Er hatte dem Minchen nicht einmal lebewohl gesagt, wenigstens nicht hier, vor allen anderen. Erst als sie in Minchens verlassene Schlafstube kam, entdeckte sie auf dem Nachttisch einen kleinen Blumenstrauß mit einem Zettel. Sie kannte die Handschrift.

  • aus der Anstalt Liebenau:

„Innigst geliebter Vater,

leider ging es nicht anders. Meine Abschiedsworte muss ich also heute an Dich richten. Es wird Dir und den Meinen sehr viel Herzweh bereiten. Vater guter Vater, ich möchte nicht von Dir scheiden, ohne Dich und alle meine lieben Geschwister nochmals um Verzeihung zu bitten, für das, was ich mein ganzes Leben an Euch gefehlt habe. Möge der liebe Gott meine Krankheit und dieses Opfer als Sühne dafür annehmen. Bester Vater, bitte trage Deinem Kind, welches Dich so innig geliebt hat, nichts nach und denke, es geht in den Himmel, wo wir uns alle wiederfinden. Dieses Bildchen gebe ich Dir als Andenken – so geht Dein Kind dem Heiland entgegen. Es umarmt Dich in treuer Liebe,

Dein Kind Helene.

(Bitte bete viel für meine Seelenruhe. Auf Wiedersehen, guter Vater, im Himmel“.

Die Ermordung der Opfer

http://web.archive.org/web/20151208033612im_/http:/www.pinel-online.de:80/typo3temp/pics/2cf097ae8c.jpg

Die Tötung der Opfer in den Vernichtungsanstalten erfolgte durch Vergasung. Diese wurde in eigens dafür geschaffene Gaskammern vollzogen.

In den annektierten Ländern wurden überwiegend Erschießungen oder Tötungen in sogenannten fahrbaren Gaskammern (Lastkraftwagen mit luftdicht abgeschlossenen Kastenaufbauten, in die Kohlenmonoxid eingeleitet wurde) durchgeführt.

Vielfach wurde der Tod auch durch Verabreichung von Luminal und anderen toxische Substanzen oder Nahrungsentzug herbeigeführt.http://web.archive.org/web/20151208033612im_/http:/www.pinel-online.de:80/typo3temp/pics/17a42597f2.jpg

Insgesamt wurden fast 200 000 Menschen mit einer Behinderung ermordet, allein davon über 70.000 in den Vernichtungsanstalten Grafeneck, Brandenburg, Bernburg, Hartheim, Sonnenstein und Hadamar.